Kennst Du das Gefühl, völlig ausgelaugt zu sein, obwohl Du scheinbar „nichts“ getan hast? Viele Menschen erleben genau das: Sie fühlen sich erschöpft, obwohl sie sich körperlich nicht verausgabt haben. Wie kann das sein? Die Antwort liegt in einem oft übersehenen Mechanismus: Zurückhaltung. Dieser Artikel zeigt Dir, warum Zurückhaltung enorm Energie frisst.
„Wo Ausdruck fehlt, stagniert Energie. Wo Energie stagniert, wird Leben eng.“
(Michél Porstendörfer)
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Zurückhaltung: Die unsichtbare Energiefalle
Wenn wir nicht klar ausdrücken, was wir fühlen oder denken, z. B. kein „Nein“ sagen, uns nicht abgrenzen oder unsere Meinung nicht äußern, dann halten wir diese Impulse innerlich zurück.
Zurückhaltung ist kein passiver Zustand, sondern ein aktiver Prozess.
Unser Körper muss ständig gegen den natürlichen Ausdruck arbeiten. Es ist als wolltest Du ein Ballon unter Wasser drücken, dass ist verdammt anstrengend.
Anstatt klar zu sprechen, die Stirn zu runzeln, mit den Händen zu gestikulieren oder uns zu bewegen, spannen wir Muskeln an, die diesen Impuls blockieren.
Das Ergebnis:
Wir verbrauchen permanent Energie, um diese Impulse „unten zu halten“.
Wer das über Jahre perfektioniert hat, fühlt sich irgendwann erschöpft, auch ohne äußere Aktivität.
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Anpassung: Die stille Strategie hinter der Zurückhaltung
Hinter Zurückhaltung steckt oft ein tief verinnerlichter Anpassungsmechanismus.
Anpassung bedeutet:
Ich richte mich nach dem, was andere (vermeintlich) von mir erwarten, selbst wenn es mir eigentlich nicht entspricht. Diese Erwartung die vermeintlich von Außen kommt, basierte in der Kindheit häufig auf unserem Gruppen-Gewissen, wie verhält sich die Gruppe und passt mein Verhalten dazu.
Warum tun wir das?
– Um dazuzugehören
– Um Konflikte zu vermeiden
– Um nicht negativ aufzufallen
– Um geliebt, anerkannt oder gebraucht zu werden
Anpassung war oft früher eine hilfreiche Strategie – z. B. in der Kindheit, wenn wir auf Harmonie oder Sicherheit angewiesen waren.
Doch wenn wir diese Muster unbewusst weiterführen, schaden sie uns im Erwachsenenalter.
Wir sagen Ja, obwohl wir Nein meinen.
Wir lächeln, obwohl wir enttäuscht sind.
Wir schweigen, obwohl wir viel zu sagen hätten.
Langfristig führt das zu innerem Druck, Unzufriedenheit und dem Gefühl, uns selbst zu verlieren.
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Exkurs: Schuld und Scham – Die versteckten Wächter (nach Bernhard Voss)
Der Körpertherapeut Bernhard Voss beschreibt Schuld und Scham als zwei zentrale Mechanismen, die diese Zurückhaltung verstärken.
Schuld und Scham wirken wie ein Deckel auf unserem natürlichen Ausdruck.
Aus Angst, halten wir uns zurück.
Wovor haben wir Angst?
– zu laut
– zu fordernd
– zu wütend
– zu verletzlich
… zu wirken.
Doch es gibt hier 100 weitere Möglichkeiten, die zu deiner persönlichen Situation passen könnten.
– Scham bremst, wenn wir Angst haben, uns zu blamieren oder unangemessen zu sein.
– Schuld meldet sich, wenn wir glauben, gegen Regeln oder Erwartungen verstoßen zu haben.
Innerlich brodelt es trotzdem:
Unter dem Deckel wirken zwei starke Ur-Emotionen: Wut und Trauer
Und dahinter zwei Instinkte: Sexual-/Kreativitätskraft (=Arterhalt) und Aggressionskraft (=Selbsterhalt)
Kurz gesagt: Unsere Lebenskraft will sich ausdrücken doch Schuld und Scham halten den Deckel drauf.
Das kostet Energie. Genau diese Energie drückt sich dann in unseren Körper und Nervensystem aus (herzlich grüßt die Physik: Energie kann nicht verschwinden sondern sich nur verformen)

(Bild: Übertonus bedingt durch die Anatomie der Psyche nach Bernhard Voss; Bildcredits: Brian Neuhöfer)
Wie wirkt sich das aus?
Dauerhafte Zurückhaltung und Anpassung führen zu einem chronischen Übertonus im Nervensystem und damit im Körper. Typische Folgen:
– Verspannungen klassischer Weise im Nacken, Kiefer, Schultern, Oberschenkel oder Waden
– Erschöpfung trotz wenig Aktivität
– innere Unruhe oder Gereiztheit
– psychosomatische Beschwerden
Reflexions-fragen
– Wo in meinem Alltag halte ich mich (immer wieder) zurück?
– Was halte ich konkret zurück?
(Meine Meinung? Meine Wut? Meine Bedürfnisse? Meine Freude?)
– In welchen Situationen passe ich mich an, obwohl es mir eigentlich nicht guttut?
– Welche Bedürfnisse oder Grenzen opfere ich dabei?
– Wovor habe ich Angst, wenn ich mich zeige oder weniger anpasse?
– Was könnte schlimmstenfalls passieren?
– Hat das heute – im Erwachsenenalter – wirklich noch nachteilige Folgen?
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Fazit
Energie fließt dort, wo Ausdruck möglich ist.
Wenn wir beginnen, uns wieder klar auszudrücken – mit Stimme, Körper, Worten – befreien wir uns Stück für Stück.
Selbstführung bedeutet auch: Schuld- und Schamgrenzen sowie alte Anpassungsmuster bewusst wahrnehmen und achtsam hinterfragen.